Initiativen stellen sich vor
Behandlungszentrum für Folteropfer, Berlin
Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin existiert seit knapp 5 Jahren. Es hat sich in dieser Zeit zu einer anerkannten Spezialeinrichtung entwickelt, die von Patienten aus allen Teilen Deutschlands aufgesucht wird und deren Mitglieder als Gutachter vor Gerichten, als Referenten der Weiterbildung und als Berater beim Aufbau neuer Behandlungszentren gefragt sind. Das Behandlungszentrum Berlin zeigt auch Aktivitäten auf internationaler Ebene durch seine Mitgliedschaft im Internationalen Rat für die Rehabilitation von Folteropfern (IRCT); es ist beteiligt an Menschenrechtsmissionen in der Türkei, im ehemaligen Jugoslawien, in Rumänien und in afrikanischen Länder. Dadurch, dass hier die körperlichen und seelischen Wunden von verfolgten Menschen behandelt werden, die nach dem Fall einer Diktatur oder nach dem Ende eines Krieges in ihre Heimat zurückkehren wollen, wird neben der Einzeltherapie auch ein nicht zu unterschätzender Beitrag beim Wiederaufbau der durch Krieg und Terror zerstörten Regionen geleistet. Da unbewältigte Traumata sich auf künftige Generationen übertragen und in sich den Keim neuer gewalttätiger Auseinandersetzungen tragen, bedeutet die Arbeit des Behandlungszentrums zudem auch ein Stück Prävention.
Die Anfragen zur Behandlung können telefonisch, schriftlich oder durch persönliche Vorstellung erfolgen. Meist führt ein Sozialarbeiter die Vorabklärung sowie gegebenenfalls auch Kurzberatung durch. Manchmal muss aus humanitären Gründen sehr schnell mit einer Krisenintervention durch den Einsatz mehrerer Spezialisten reagiert werden.
Nach einer Wartezeit bekommt der Anfragende dann einen Termin beim Aufnahmeteam, das aus einem Sozialarbeiter und einem Arzt oder Psychotherapeuten besteht. Hier wird in einem ausführlichen Gespräch abgeklärt, ob der Anfragende mit seinem Anliegen den Aufnahmekriterien des Behandlungszentrums entspricht. Kann er aufgenommen werden, so schaltet sich vor die langfristige Behandlungsphase eine weitere Abklärungsphase von ca. fünf Terminen, wobei die soziale, biographische und medizinische Anamnese evaluiert und ein psychischer und medizinischer Befund erhoben wird. Mit diesem Modell versucht das Zentrum so vielen behandlungsbedürftigen Menschen wie möglich zu helfen, es kann aber leider bei den gegebenen Möglichkeiten keineswegs allen Nachfragen bei der hohen Anzahl der traumatisierten Flüchtlingen gerecht werden.
Wenn bei Flüchtlingen von einer niedrig angesetzten Zahl von 20 Prozent extrem traumatisierten ausgegangen wird, dann summieren sich die Behandlungswünsche von traumatisierten Flüchtlingen in der Bundesrepublik pro Jahr auf über 10.000 Menschen. Es ist eine die Kapazitäten Deutschlands weit übertreffende Zahl.
Im letzten Jahr kamen viele dringende Behandlungswünsche von Flüchtlingen aus kurdischen Gebieten in der Türkei. Unter ihnen sind auffällig viele Jugendliche und Frauen. Angesichts der hohen Anzahl der Behandlungsbedürftigen und der langen Warteliste wurde im Zentrum eine neue Therapieform eingeführt: neben der bisher durchgeführten Einzelbehandlung wird die Gruppenbehandlung angewandt. Hierbei werden mehrere Patienten aus einem Kulturkreis in einer Gruppe zusammengefasst und mit neuen, kürzeren Verfahren therapiert. Die neue Therapieform wurde initial bei einer kurdischen Männergruppe angewandt. Es werden traditionelle Muster der Behandlung, kulturelle Besonderheiten und Identitäten für die Stabilisierung der Patienten und gegen den Verlust von Grundvertrauen und die Unfähigkeit, Beziehungen herzustellen und zu erhalten, genutzt. Außer den von den Therapeuten vorgegebenen Formen der gegenseitigen Stützung wählen die Patienten auch eigene Formen der Bearbeitung von Traumata.
Ca. 50 Prozent der Patienten sind Asylsuchende. Die meisten Asylbewerber werden bekanntlich nach der Anhörung abgelehnt, insbesondere, wenn es Menschen vom Land sind, die keine spezielle Tätigkeit nachweisen können und ihr Verfolgungsschicksal nicht ausreichend gut in der Anhörung darstellen können. Sie sind häufig Analphabeten, die sich nicht an Daten erinnern und auch im Rahmen der Traumatisierung an Gedächtnisstörungen leiden. Auch das Schamgefühl spielt eine große Rolle: Das, was sie erlebt haben, macht sie unfähig darüber zu sprechen. Die soziale und psychotherapeutische Stützung dieser Menschen ist eine Aufgabe, die sehr viel Geduld und Kreativität erfordert.
Neben der direkten Hilfe an traumatisierten Patienten bietet das Behandlungszentrum auch indirekte Hilfe durch seine Bibliothek mit rund 7000 Informationsträgern, der Beratung auswärtiger Therapeuten, der Evaluation von und dem Erfahrungsaustausch mit anderen Einrichtungen und der Organisation von Fortbildungsveranstaltungen.
Behandlungszentrum für Folteropfer, Haus 14 – Klinikum Westend, Spandauer Damm 130, 14050 Berlin. Tel: 030 / 3035-3591 (-3309), Fax: 030 / 3035-3482
Kurdistan heute Nr. 21/22, September/Oktober 1997