Barrieren überwinden, für gemeinsame Werte eintreten
Hintergrund
Internationale Migration stellt sowohl die jeweilige Aufnahmegesellschaft als auch die MigrantInnen vor neue Herausforderungen. Themen wie gesellschaftliche Mitwirkung, Teilnahme und Teilhabe von MigrantInnen haben für die gegenwärtige Integrations- und Zuwanderungspolitik in Deutschland eine besondere Relevanz.
Für die in Deutschland lebenden MigrantInnen bieten sich abhängig von ihrem Aufenthaltsstatus verschiedene Möglichkeiten der sozialen sowie politischen Teilnahme und Integration in die Gesellschaft. Ferner geht es darum, für die Zukunft gemeinsame demokratische Werte zu entwickeln und eine Brücke zwischen MigrantInnen und Aufnahmeland aufzubauen.
Neben den allgemeinen, migrationsgruppenübergreifenden Herausforderungen sehen sich Einwanderer und Einwanderinnen mit einem kurdischen Migrationshintergrund mit besonderen Problemkonstellationen konfrontiert.
Die von NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. im Rahmen von unterschiedlichen Projekten durchgeführten Studien und Tagungsauswertungen, sowohl auf Bundes- und Landesebene als auch in kommunalpolitischen Zusammenhängen, haben gezeigt, dass hinsichtlich der Partizipation in der Gesellschaft des Aufnahmelandes zwei Themenbereiche besondere Relevanz und Aktualität besitzen: „Förderung der Gleichberechtigung von Migrantinnen mit Schwerpunkt Kurdinnen“ und „Islam und Integration als Herausforderung“. Diese spiegeln sich in den beiden thematischen Säulen des Projektes „Barrieren überwinden, für gemeinsame Werte eintreten“ wider.
Kurdinnen in Deutschland – zwischen Emanzipation, Tradition und Integration
Phänomene wie „Ehrenmord“ und „Zwangsehen“ sind zu Schlagworten in der öffentlichen Diskussion geworden und haben eine bundesweite Debatte über Wertvorstellungen von in Deutschland lebenden MigrantInnen ausgelöst. Dennoch gibt es derzeit kaum gesicherte Informationen über das Ausmaß solcher Erscheinungen. Verstärkt wurde deutlich, dass in der deutschen Gesellschaft zu lange weggeschaut wurde und unter dem Deckmantel der multikulturellen Toleranz Fehlentwicklungen keine bzw. kaum Beachtung fanden. Bei den Bürger- und Menschenrechten darf es jedoch keinen Rabatt auf „kulturelle Differenz“ geben.
Die spezifische und facettenreiche Situation der kurdischen Frau hingegen findet in Deutschland nach wie vor nicht die erforderliche Aufmerksamkeit, weder in der Wissenschaft noch in der Praxis. Dabei wird auch für Frauen mit einem kurdischen Migrationshintergrund der Lebensalltag vor allem durch ein autoritär-patriarchalisches Gesellschaftssystem bzw. die Renaissance traditioneller Strukturen bestimmt. Diese sind unter anderem die Folge einer als bedroht erlebten Identität.
Frauenspezifische Gewalt ist innerhalb der kurdischen Community häufig tabuisiert. Selbst bei Erfahrungen mit staatlicher Gewalt – besonders hoch bei Frauen mit einem Fluchthintergrund – wenden kurdische Migrantinnen häufig Schweigen zum Selbstschutz an. Um das Unrechtsbewusstsein zu schärfen und neuen Lebenskonzepten von kurdischen Frauen eine Chance zu bieten, ist im integrations- und bildungspolitischen Kontext eine offene Diskussion und geistige Auseinandersetzung sowohl innerhalb der kurdischen Community als auch in bundesdeutschen Institutionen unabdingbar.
Islam und Integration als Herausforderung
Seit dem 11. September 2001 haben sich die Rahmenbedingungen für ein Zusammenleben von Muslimen und Mehrheitsgesellschaft in Deutschland entscheidend verändert. Auf der einen Seite werden Integrationsbemühungen vermehrt von Sicherheitserwägungen dominiert und Szenarios von islamischen „Parallelgesellschaften“ bestimmen häufig die Debatte. Auf der anderen Seite haben Dialogveranstaltungen Hochkonjunktur und Politiker aller Parteien bemühen sich zunehmend mit Vertretern muslimischer Gruppen in Kontakt zu treten.
Im Hinblick auf Inhalte, Methoden und Adressaten verläuft dieser Dialog jedoch bisher häufig unklar und ziellos. VertreterInnen der Politik müssen sich dabei gelegentlich den Vorwurf gefallen lassen, in einer harmonisierenden Euphorie allzu gerne problematische Seiten auszublenden. Auf muslimischer Seite dominieren die Vertreter der großen Verbände den Dialog, die basierend auf ihrer Islaminterpretation bestimmte Forderungen durchzusetzen versuchen. Problematisch hierbei ist, dass diese Organisationen nur einen kleinen Teil der in Deutschland lebenden Muslime vertreten.
Ziel dieser Projektsäule ist es daher zum einen, die Rolle des Islams bei der Integration von MigrantInnen zu untersuchen. Zum anderen soll eine Auseinandersetzung mit dem Problem der Repräsentation von MigrantInnen aus muslimischen Ländern im interkulturellen Dialog stattfinden. Darüber hinaus soll das Demokratie- und individuelle Rechtsverständnis gestärkt und die Partizipationsbereitschaft bei MigrantInnen gefördert werden.
Aktivitäten
Im Rahmen des Projektes „Barrieren überwinden, für gemeinsame Werte eintreten“ sind verschiedene bundes- und landesweite Aktivitäten geplant. Dabei handelt es sich zum einen um mehrere Fachtagungen, die einen bundesweiten Teilnehmerkreis ansprechen sollen, sowie zahlreiche Tagesseminare bzw. Workshops auf Landes- und Kommunalebene. Die geplanten Veranstaltungen werden mit lokalen und regionalen Kooperationspartnern durchgeführt.
Ziel der Veranstaltungen ist es durch Expertenvorträge, Podiumsdiskussionen und Interaktion mit dem Publikum eine Sensibilisierung für die genannten Themen anzuregen, eine kritische Auseinandersetzung zu fördern und allgemein zu einem Umdenkungsprozess aller Beteiligten zu motivieren. Bei den Veranstaltungen sollen in der Diskussion über die gesellschafts- und migrationspolitischen Rahmenbedingungen ein spannungsfreieres und gleichberechtigtes Gesellschaftliches Zusammenleben unterstützt sowie die verstärkte Wahrnehmung partikular-demo-kratischer Werte vermittelt werden.
Die Ergebnisse der Fachtagungen und Seminare werde abschließend in Publikationen dokumentiert und so einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Zielpublikum
Das Projekt richtet sich insbesondere an kurdische MigrantInnen und ihre Selbstorganisationen, interessierte MigrantInnen und MultiplikatorInnen, VertreterInnen und Institutionen aus Politik, Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft sowie im weiteren Sinne an alle an der Thematik Interessierten.
Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium des Inneren.