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News-Eintrag vom 17.03.2024

Sechs Jahre türkische Besatzung in Afrin: Das internationale Schweigen muss endlich durchbrochen werden

Vor sechs Jahren, am 18. März 2018, nahmen türkische Truppen, unterstützt von islamistischen Söldnern, im Rahmen der sog. „Operation Olivenzweig“ das kurdische Selbstverwaltungsgebiet im Distrikt Afrin (Syrien) ein.

Bis heute hält die Besetzung an. Vor der Invasion lebten in Afrin zu 90-95 % Kurdinnen und Kurden. Das Gebiet galt zudem bis zum Angriff der Türkei als eine der letzten sicheren Zufluchtsorte für Binnenvertriebene in Syrien. Ein Großteil der ursprünglichen Bewohner ist mittlerweile geflohen.

Diese Besetzung einer Region auf dem Territorium des souveränen Staats Syrien – ohne Erlaubnis der syrischen Regierung – wird von Völkerrechtslehre und Praxis nahezu einhellig als völkerrechtswidrig beurteilt. Die Tatsache, dass die Besetzung inzwischen schon sechs Jahre anhält und eine systematische Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung betrieben wird, unterstreicht dies noch. Seitens der internationalen Staatengemeinschaft wird allenfalls leise Kritik geübt und der völkerrechtswidrige Zustand, die Annexion des Gebietes, faktisch hingenommen. Dies gilt übrigens nicht nur für die westliche Welt – auch die Liga der arabischen Staaten (Arabische Liga) und die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIZ) üben sich in Schweigen.

Foto: Rudaw

Die Zivilverwaltung von Afrin steht seit 2018 unter der Kontrolle des Gouverneurs von Hatay in der Türkei. In dem Gebiet findet eine ethnische Säuberung statt. In den von geflüchteten bzw. vertriebenen KurdInnen zurückgelassenen Häusern siedeln die türkischen Machthaber gezielt arabische und turkmenische Menschen an. Alles Kurdische wurde aus dem öffentlichen Leben getilgt. In den Schulen wird nur auf Arabisch und Türkisch unterrichtet, Ortsnamen und Bezeichnungen wurden arabisiert. Insbesondere in vormals ezidischen Siedlungsgebieten wurden und werden aus Mitteln islamistischer Stiftungen neue Häuser errichtet, um Wohnraum für neu angesiedelte Menschen (Turkmenen und sunnitische Araber) zu schaffen.

Tausende vertriebene kurdische Familien aus Afrin wurden enteignet. Nach Recherchen des „Spiegel“ vor Ort werden immer wieder KurdInnen verhaftet. Dabei sind auch Schutzgeldzahlungen oder Lösegeld für entführte Menschen ein beliebtes Mittel bei den Milizen, um sich zu bereichern. Wer kein Schutzgeld bezahlen will, muss mit Verhaftung, und Ausplünderung rechnen oder wird am Bestellen seiner Felder gehindert. So wurden von Olivenbauern Schutzgeldzahlungen verlangt. Wer nicht zahlte fand seine Bäume abgehackt oder niedergebrannt, so berichtete ein Bewohner. (Der Spiegel vom 20.01.2024). Als besonders lukrativ gilt der Verkauf von den Jahrhunderten alten Olivenbäumen, dem Wahrzeichen der Region. Ganze Waldflächen sind inzwischen durch den Raub der Bäume verschwunden. Seit dem Beginn der türkischen Besetzung von Afrin sollen schätzungsweise etwa 500.000 Olivenbäume gefällt worden sein. In der vom Klimawandel betroffenen Region hat dies katastrophale Folgen.

Das Erdbeben vom 6. Februar 2023 hat auch in dem Distrikt Afrin schwere Schäden verursacht. Die Gemeinde Cindires wurde zu 80 Prozent zerstört. Durch das Erdbeben starben in Cindires mindestens 1000 Menschen, Tausende wurden verletzt. Nach Schätzungen sind etwa 5000 Familien obdachlos geworden. Bereits vor dem Erdbeben wurden mindestens 300.000 Kurden vertrieben und stattdessen Hunderttausende Araber und Turkmenen in Afrin angesiedelt.

Internationale Hilfe kommt kaum an und wird teilweise von der islamistischen Syrischen Nationalen Armee (SNA), die von der Türkei unterstützt wird, und anderen Dschihaddisten-Milizen geraubt. Es gibt Berichte, dass die noch in Afrin verbliebenen Kurden bei der Verteilung von Hilfsgütern systematisch benachteiligt werden. Geschlossene türkische Grenzen sind ein Hauptgrund für die unterbliebene Hilfe. Auch das syrische Regime verhindert immer wieder Hilfsleistungen. Die humanitäre Notlage wird sowohl von Assad als auch von der SNA für ihren Machterhalt genutzt. Internationale NGOs machten auf diesen Umstand aufmerksam.

Zum kurdischen Neujahrsfest Newroz im vergangenen Jahr richteten bewaffnete Milizen ein Massaker in der Kleinstadt Cinderis an. Dabei kamen vier Kurden ums Leben, die mit ihrer Familie das Newrozfest feiern wollten.

Am 18. Februar 2023 besuchte eine Delegation aus Katar die Gemeinde Cindires. Katar plant schon seit längerem, gemeinsam mit der Türkei in Afrin Siedlungen zu bauen für in der Türkei lebende islamistische arabische und tschetschenische Familien, die loyal gegenüber dem türkischen Staat sind. Seit 2018 wurden bereits – ebenfalls mit Hilfe von Katar – 100 neue Siedlungen gebaut für arabische und turkmenische Familien, die ursprünglich aus ganz anderen Regionen Syriens stammen. So soll die ethnische Säuberung beschleunigt werden.

In Afrin existieren bereits mehrere dokumentierte illegale Siedlungen, die mit kuwaitischer, katarischer, palästinensischer und auch saudischer Hilfe gebaut werden.

Im Januar hat die Menschenrechtsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe eine Strafanzeige gegen die Anführer mehrerer islamistischer Terrormilizen eingereicht.

Nach dem Weltrechtsprinzip kann Deutschland Völkerstraftaten unabhängig davon verfolgen, wer sie begangen hat, wo sie begangen wurden oder gegen wen sie gerichtet waren. Mit der Strafanzeige sollen die Verantwortlichen wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ belangt werden.

Die Bundesanwaltschaft hat 2014 ein Strukturermittlungsverfahren zu den Verbrechen nichtstaatlicher Akteure im syrischen Konflikt eröffnet. Bislang standen erst die Verbrechen des Assad-Regimes und islamistischer Gruppen, wie Jabhat al-Nusra und ISIS, im Fokus der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Das Leid, das die mehrheitlich kurdische Zivilbevölkerung im Nordwesten Syriens erfahren hat, ist bislang noch überhaupt nicht aufgearbeitet worden.

Das internationale Schweigen muss enden. Es darf kein „Weiter so“ geben. Das Unrecht der Besetzung von Afrin und die Verbrechen an der dortigen Zivilbevölkerung einfach hinzunehmen, stellt die internationale Ordnung in Frage. Die internationale Staatengemeinschaft steht in der Pflicht, die Aggression der Türkei zu stoppen und den Rückzug der türkischen Armee aus dem Nachbarland Nordsyrien verlangen. Dies muss Gegenstand der Erörterung insbesondere innerhalb der UNO und der NATO werden.

Die kurdische Zivilbevölkerung in Afrin muss geschützt, und eine ethnische Säuberung durch die Türkei muss verhindert werden. Plünderungen und willkürliche Festnahmen müssen sofort gestoppt und die Rückkehr von Vertriebenen muss unterstützt werden. Diesbezüglich könnte die Errichtung einer Schutzzone eine Option sein. Menschenrechtsverletzungen sowie andere Kriegsverbrechen durch die türkische Armee, islamistische Gruppen und andere Kriegsparteien müssen bestraft werden. Auch im Rahmen des Europarates müssten Maßnahmen gegen die Türkei diskutiert werden.

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