Nach dem Vorbild Russlands: fünf Jahre türkische Besatzung in Afrin
Vor fünf Jahren, am 18. März 2018, nahmen türkische Truppen, unterstützt von islamistischen Söldnern, im Rahmen der sog. „Operation Olivenzweig“ das kurdische Selbstverwaltungsgebiet im Distrikt Afrin (Syrien) ein.
Bis heute hält die Besetzung an. In gewisser Weise folgt die Türkei hier Putins Spuren, dem es gelungen war, sich 2014 die Krim einzuverleiben, ohne dass dies zu ernsthaften internationalen Konsequenzen gegenüber Russland geführt hätte.
Vor der Invasion lebten in Afrin zu 90-95 % Kurdinnen und Kurden. Das Gebiet galt zudem bis zum Angriff der Türkei als eine der letzten sicheren Zufluchtsorte für Binnenvertriebene in Syrien. Ein Großteil der ursprünglichen Bewohner ist mittlerweile geflohen.
Diese Besetzung einer Region auf dem Territorium des souveränen Staats Syrien – ohne Erlaubnis der syrischen Regierung – wird von Völkerrechtslehre und Praxis nahezu einhellig als völkerrechtswidrig beurteilt. Die Tatsache, dass die Besetzung inzwischen schon fünf Jahre anhält und eine systematische Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung betrieben wird, unterstreicht dies noch. Seitens der internationalen Staatengemeinschaft wird allenfalls leise Kritik geübt und der völkerrechtswidrige Zustand, die Annexion des Gebietes, faktisch hingenommen. Dies gilt übrigens nicht nur für die westliche Welt – auch die Liga der arabischen Staaten (Arabische Liga) und die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIZ) üben sich in Schweigen.
Die Zivilverwaltung von Afrin steht seit 2018 unter der Kontrolle des Gouverneurs von Hatay in der Türkei. In dem Gebiet findet eine ethnische Säuberung statt. In den von geflüchteten bzw. vertriebenen KurdInnen zurückgelassenen Häusern siedeln die türkischen Machthaber gezielt arabische und turkmenische Menschen an. Alles Kurdische wurde aus dem öffentlichen Leben getilgt. In den Schulen wird nur auf Arabisch und Türkisch unterrichtet, Ortsnamen und Bezeichnungen wurden arabisiert. Insbesondere in vormals ezidischen Siedlungsgebieten wurden und werden aus Mitteln islamistischer Stiftungen neue Häuser errichtet, um Wohnraum für neu angesiedelte Menschen (Turkmenen und sunnitische Araber) zu schaffen.
Das Erdbeben vom 6. Februar 2023 hat auch in dem Distrikt Afrin schwere Schäden verursacht. Die Gemeinde Cindires wurde zu 80 Prozent zerstört. Durch das Erdbeben starben in Cindires mindestens 1000 Menschen, Tausende wurden verletzt. Nach Schätzungen sind etwa 5000 Familien obdachlos geworden. Bereits vor dem Erdbeben wurden mindestens 300.000 Kurden vertrieben und stattdessen Hunderttausende Araber und Turkmenen in Afrin angesiedelt.
Internationale Hilfe kommt kaum an und wird teilweise von der islamistischen Syrischen Nationalen Armee (SNA), die von der Türkei unterstützt wird, und anderen Dschihaddisten-Milizen geraubt. Es gibt Berichte, dass die noch in Afrin verbliebenen Kurden bei der Verteilung von Hilfsgütern systematisch benachteiligt werden. Geschlossene türkische Grenzen sind ein Hauptgrund für die unterbliebene Hilfe. Auch das syrische Regime verhindert immer wieder Hilfsleistungen. Die humanitäre Notlage wird sowohl von Assad als auch von der SNA für ihren Machterhalt genutzt.
Am 18. Februar 2023 besuchte eine Delegation aus Katar die Gemeinde Cindires. Katar plant schon seit längerem, gemeinsam mit der Türkei in Afrin Siedlungen zu bauen für in der Türkei lebende islamistische arabische und tschetschenische Familien, die loyal gegenüber dem türkischen Staat sind. Seit 2018 wurden bereits – ebenfalls mit Hilfe von Katar – 100 neue Siedlungen gebaut für arabische und turkmenische Familien, die ursprünglich aus ganz anderen Regionen Syriens stammen. So soll die ethnische Säuberung beschleunigt werden.
Dieses Unrecht einfach hinzunehmen, stellt die internationale Ordnung in Frage. Die internationale Staatengemeinschaft steht in der Pflicht, die Aggression der Türkei zu stoppen und den Rückzug der türkischen Armee aus dem Nachbarland Nordsyrien verlangen. Dies muss Gegenstand der Erörterung insbesondere innerhalb der UNO und der NATO werden. Es kann hier kein „weiter so“ geben. Die kurdische Zivilbevölkerung in Afrin muss geschützt, und eine ethnische Säuberung durch die Türkei muss verhindert werden. Plünderungen und willkürliche Festnahmen müssen sofort gestoppt und die Rückkehr von Vertriebenen muss unterstützt werden. Diesbezüglich könnte die Errichtung einer Schutzzone eine Option sein. Menschenrechtsverletzungen sowie andere Kriegsverbrechen durch die türkische Armee, islamistische Gruppen und andere Kriegsparteien müssen bestraft werden. Auch im Rahmen des Europarates müssten Maßnahmen gegen die Türkei diskutiert werden.