Wir gedenken der Opfer des Sivas-Massakers (2. Juli 1993)
Der 2. Juli 1993 hat sich als weiterer Ausdruck der brutalen Verfolgung in das kollektive Gedächtnis der alevitischen Religionsgemeinschaft gebrannt.
Eine gewaltbereite Meute von Tausenden Islamisten und Rechtsextremen belagerte an diesem Tag das Hotel Madimak in der anatolischen Stadt Sivas, in dem ein alevitisches Kunst- und Kulturfestival stattfand und setzte es schließlich unter dem Schlachtruf „Es lebe die Scharia!“ in Brand. 35 Menschen verloren dabei ihr Leben. Unter den Opfern waren neben prominenten alevitischen Künstlern, Dichtern und Musikern auch zwei Kinder.
Die Alevitinnen und Aleviten sprechen von einem Massaker und einer aktiven Verantwortung des türkischen Staates für diese Verbrechen. Dabei spielt insbesondere der Umstand eine Rolle, dass der Lynchmob und der Brandanschlag über mehrere Stunden live im türkischen Staatsfernsehen übertragen wurden und türkische Sicherheitskräfte nicht eingriffen. Die damalige Ministerpräsidentin der Türkei, Tansu Çiller, äußerte sich infolge des Anschlags mit den Worten, dass die Menschen vor dem Madimak-Hotel „zum Glück keinen Schaden genommen“ hätten. Gemeint waren damit die Islamisten und Rechtsextremen, die das Hotel belagerten und es schließlich in Brand setzten.
Bis heute behindern türkische Behörden die Alevitinnen und Aleviten in der Türkei beim aktiven Gedenken und Trauern, und die alevitische Bevölkerung wird systematisch durch den türkischen Staat diskriminiert, wie zuletzt im Jahr 2016 durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt. Auch die umfängliche juristische Strafverfolgung der Täter durch die türkische Justiz ist bisher ausgeblieben, denn auch wenn es zu diversen Verurteilungen kam, konnten sich neun rechtskräftig verurteilte Täter dem Verfahren in der Türkei entziehen, indem sie nach Deutschland flüchteten. Besonders skandalös ist in diesem Zusammenhang, dass acht von ihnen politisches Asyl erhielten beziehungsweise als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden.
Wir, als NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V., gedenken der 35 Opfer des Brandanschlags und fordern eine konsequente Verfolgung und Verurteilung der Täter, die für diese Verbrechen verantwortlich sind. Dabei trägt auch die deutsche Justiz die Verantwortung, sich mit den nach Deutschland geflüchteten Tätern zu beschäftigen und der Frage nachzugehen, wie es sein kann, dass diese hierzulande vor der Strafverfolgung geschützt werden. Außerdem muss es den Alevitinnen und Aleviten möglich sein, mittels Trauermärschen, Errichtung von Gedenkstätten und Veranstaltungen auf diese Verbrechen und ihre Anliegen aufmerksam zu machen und der Opfer in Würde zu gedenken. Bonn, 02.07.2019