Besuch des kurdischen Schriftstellers Bachtyar Ali
Am 8. November besuchte der kurdische Schriftsteller Bachtyar Ali NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. Er wurde begleitet von dem Filmemacher Khasraw Hama Karim.
An dem gemeinsamen Gespräch nahmen der Vorsitzende von NAVEND, Metin Incesu und die Mitglieder Ayhan Çiftci, Awat Said und Şahin Kürküt teil. Bachtyar Ali ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller in Kurdistan. Er wurde am 8. August 1966 in der Stadt Suleimaniya geboren, die heute zum Gebiet der Autonomen Region Kurdistan zählt. Seine Werke sind in kurdischer Sprache verfasst.
Erörtert wurde zunächst die aktuelle Situation in Kurdistan-Irak, insbesondere nach dem Unabhängigkeitsreferendum. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen ferner die Situation kurdischer Schriftsteller in der Heimat und im Exil und Möglichkeiten zur Verbesserung des Kulturaustausches. Hierzu könnte der gegenseitige Austausch kurdischer Schriftsteller im Exil, die Organisation grenzüberschreitender Literaturbeziehungen – z.B. durch Lesungen, Vorträge und Gesprächskreise -, Partnerschaften und Begegnungen mit deutschen Schriftstellerkolleg/innen und Journalist/innen gehören. In diesem Zusammenhang wurde auch darüber gesprochen, wie das Ziel einer größere Bekanntheit kurdischer Autoren in Deutschland zu erreichen ist.
Über Bachtyar Ali:
Die Jugend von Bachtyar Ali war geprägt durch schwere Kriegszeiten, insbesondere durch den ersten Golfkrieg. Um nicht ein Teil dieses Krieges zu werden, entschloss er sich, den Militärdienst nicht anzutreten, und versteckte sich über mehrere Jahre. In einem Interview sagte er über diese Zeit: „In meinem Versteck habe ich sehr viel gelesen. Ich hatte keine andere Wahl, außer Dichter zu werden.“ Zusätzlich musste er später einen Bürgerkrieg im eigenen Land miterleben – eine weitere dramatische Wende, die seinen Werdegang maßgeblich beeinflussen sollte.
1983 geriet er durch sein Engagement in den Studentenprotesten in Konflikt mit der Diktatur Saddam Husseins. Während seines Studiums war er an Studentenprotesten beteiligt und wurde bei der Niederschlagung derselben schwer verletzt. Da er im Anschluss für einige Zeit inhaftiert wurde, war es ihm nicht möglich, sein Geografiestudium zu beenden.
Nach seiner Entlassung verschrieb er sich zunächst der Poesie. Schon sein frühes Gedicht „Niştiman” (Heimatland), geschrieben in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, erntete große Aufmerksamkeit und verschaffte ihm seinen ersten Preis. Sein erstes Buch war ein Gedichtband mit dem Titel „Gunah w Karnaval“ (Sünde und Karneval, 1992). Alis umfangreiches Werk umfasst Gedichte, Romane und Essays.
Ali schreibt in seiner Muttersprache Kurdisch. Diese Tatsache an sich, auch ohne Berücksichtigung der Textinhalte, macht seine Werke politisch. Zudem rief Ali eine kritische Zeitschrift ins Leben und wurde journalistisch tätig.
Die Geschichten in Alis Werken spielen meist in seinem Heimatland Kurdistan oder in anderen Teilen des Nahen Ostens. Er versucht, die Realität durch surreale Elemente stärker herauszuarbeiten, um die Geschehnisse auf neue Weise zu beleuchten. Dabei scheut er nicht die Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen in seiner Heimat.
Der Bürgerkrieg zwang ihn letztlich dazu, seine Heimat zu verlassen und nach Deutschland zu fliehen. Bachtyar Ali lebt seit Mitte der Neunzigerjahre in Deutschland.
Mit dem Verlassen seiner Heimat änderte sich auch die Substanz seiner Fragestellungen. Durch die Übersetzung seiner Werke in zahlreiche Sprachen erlangen die zentralen Fragen seiner Werke universelle Bedeutung. In seiner Rede zur Verleihung des Nelly-Sachs-Preises sagte er darüber: „Ich habe versucht und versuche immer noch, etwas dazu beizutragen, dass das kurdische Volk seine eigenen universalen Dimensionen besser wahrnimmt und nach Gemeinsamkeiten über die eigenen Grenzen hinaus sucht.“
Bisher sind mit den Romanen „Die Stadt der weißen Musiker“ und „Der letzte Granatapfel“ erst zwei seiner Romane in deutscher Sprache erschienen. Weitere Bücher werden derzeit übersetzt.
2009 erhielt er als Erster den HARDI-Literaturpreis und 2014 den neu eingerichteten Sherko Bekas-Literaturpreis. 2017 folgte die Auszeichnung mit dem Nelly-Sachs-Preis, der zuvor u. a. auch an die Schriftsteller Elias Canetti, Erich Fromm und Milan Kundera verliehen wurde.