Warum vertritt ein deutscher Rechtsprofessor aus Bonn die Türkei im Verfahren Selahattin Demirtaş vor dem EGMR?
Am 18. September 2019 findet vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Verhandlung im Verfahren Selahattin Demirtaş ./. Türkei statt.
Im November 2018 hatte der EGMR entschieden, dass der kurdische HDP-Vorsitzende und Parlamentsabgeordnete Selahattin Demirtaş, der seit drei Jahren in Haft in der Türkei sitzt, entlassen werden muss. Daraufhin hat die Türkei die große Kammer des Gerichtshofs angerufen.
In diesem Verfahren wird die Türkei nun ausgerechnet von dem Völkerrechtler Prof. Dr. Stefan Talmon von der Universität Bonn vertreten; dieser wird sich für die weitere Inhaftierung von Selahattin Demirtaş einsetzen.
Wir von NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V., halten dies für eine Ungeheuerlichkeit. Wie kann Professor Talmon dies moralisch und vor dem Hintergrund des europäischen Rechtsverständnisses und des allgemeinen Menschenrechts verantworten?
Heute sitzen in der Türkei tausende Journalisten, Politiker, Akademiker, Beamte und Intellektuelle in Haft, willkürlich werden gewählte Bürgermeister in den kurdische Gebieten abgesetzt. Mit allen Mitteln geht die Erdogan-Regierung gegen die Opposition in der Türkei vor. Die Verhaftung von Demirtaş hat nicht zuletzt in Deutschland eine Welle von Protesten ausgelöst. Bundespräsident Steinmeier hat die Verhaftung noch in seiner Amtszeit als Außenminister kritisiert und den türkischen Botschafter einbestellt. Zahlreiche ranghohe deutsche Politiker wie z.B. Thomas Oppermann (SPD) und Anton Hofreiter (Bündnis 90/ Die Grünen) haben eine Patenschaft mit Demirtaş übernommen. Es gibt europaweit eine Initiative „#freeDemirtas“, die von zahlreichen deutschen Politikern und bekannten Persönlichkeiten unterstützt wird.
Die Umstände der Beauftragung von Prof. Talmon durch die Türkei erscheinen uns erklärungsbedürftig.
Wie bekannt wurde, hat Prof. Talmon im Wintersemester 2018 zudem eine Blockveranstaltung zum Thema „Durchs wilde Kurdistan“ in seinem Fachbereich veranstaltet und den Studierenden verschiedenste Themen zur Bearbeitung gegeben. Diese behandelten Fragen wie z.B. die Bewertung des Unabhängigkeitsreferendums 2017 in Kurdistan-Irak, die Militäraktion der Türkei in Afrin (kurdisches Gebiet in Syrien), die „EMRK als wirksames Schutzinstrument der kurdischen Sprache in der Türkei“ usw. Herr Prof. Talmon soll auch die irakische Zentralregierung hinsichtlich des Unabhängigkeitsreferendums in Kurdistan-Irak beraten haben. Es stellt sich nun die Frage, ob die Ergebnisse dieser Arbeiten teilweise auch in die Vorbereitung des Verfahrens vor dem EGMR eingeflossen sind.
Wir fordern Herrn Prof. Talmon dazu auf, das Mandat niederzulegen, und bitten zudem die Leitung der Universität, sich von dem Verhalten von Prof. Talmon zu distanzieren und diesbezüglich ihren Einfluss geltend zu machen.