Appell an die neue deutsche Bundesregierung bezüglich der aktuellen Situation in Afrin
Das türkische Militär greift seit dem 20. Januar 2018 zusammen mit verbündeten islamistischen Milizen die mehrheitlich von Kurden bewohnte und verwaltete Region Afrin an.
Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) wurden bis zum 11. März 2018 bei diesen militärischen Angriffen und auch durch Hinrichtungen insgesamt 204 kurdische, arabische und armenische Zivilisten, darunter 32 Kinder und 26 Frauen, in der Region Afrin getötet und hunderte verletzt. Darüber hinaus sollen die Verluste auf der türkischen Seite insgesamt 418 und die der YPG-Seite 391 erreicht haben.
Mit der türkischen Militärinvasion wurde eine der wenigen stabilen und friedlichen Regionen Syriens, die bis dahin vom brutalen Bürgerkrieg nicht unmittelbar betroffen war und für viele Kriegsopfer in der Umgebung als sicherer Zufluchtsort galt, nun auch zerstört und in einen Kriegsschauplatz verwandelt.
Trotz der Resolution Nr. 2401 des UN-Sicherheitsrates vom 24. Februar 2018, mit welcher der Sicherheitsrat von allen Konfliktparteien in Syrien eine Waffenruhe für die Dauer von mindestens 30 Tagen gefordert hat, um humanitären Helfern den Zugang in die umkämpften Gebiete zu ermöglichen und um Kriegsopfer in Sicherheit bringen zu können, führte die Türkei ihre militärischen Angriffe auf Afrin fort. Willkürlich behauptet die türkische Regierung, dass in der UN- Resolution Nr. 2401 Afrin nicht explizit erwähnt sei, obwohl die Resolution eindeutig von ganz Syrien spricht. Bis auf leise Kritik haben weder der UN-Sicherheitsrat noch die demokratische Staatengemeinschaft etwas dagegen unternommen.
Nun stehen die türkischen Militärs und die von ihnen unterstützten islamistischen Milizen vor dem zu einer Millionenstadt angewachsenen Afrin und belagern die Stadt. Nach Informationen von SOHR und verschiedenen Medien wurde die Wasser- und Stromversorgung der Stadt Afrin von den türkischen Militärs gekappt und die Kommunikationsinfrastruktur zerstört. Menschenrechtler warnen vor einer neuen humanitären Katastrophe von großem Ausmaß.
Diejenigen in Deutschland lebenden Kurden, die aus der Region Afrin stammen, machen sich große Sorgen um das Leben und Sicherheit ihrer Angehörigen vor Ort.
Darüber hinaus ist die Mehrheit der kurdischstämmigen Mitbürger in Deutschland enttäuscht darüber, dass die Kurden, die in den letzten Jahren wichtige Verbündete des Westens im Kampf gegen den IS waren, jetzt von den westlichen Staaten gegenüber der türkischen Armee und den islamistischen Milizen allein und ohne Schutz gelassen werden
NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. hatte in seiner Stellungnahme vom 22.01.2018 bereits darauf hingewiesen, dass der türkische Einmarsch in die Region Afrin einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg darstellt. Nun hat auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages Zweifel geäußert, dass die türkische Militäroffensive im nordsyrischen Afrin mit dem Völkerrecht vereinbar ist.
Angesicht der Resolution Nr. 2401 des UN-Sicherheitsrates, der völkerrechtlichen Bewertung durch den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages und der drohenden humanitären Katastrophe appellieren wir an die Bundesregierung, die Türkei nachdrücklich aufzufordern,
• entsprechend der Resolution Nr. 2401 des UN-Sicherheitsrates auch in Afrin umgehend eine Waffenruhe einzuhalten und
• die eindeutig völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen in der Region Afrin einzustellen.
Wir fordern außerdem die Bundesregierung auf, alle ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Mittel, insbesondere auch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, zu ergreifen, auf den Nato-Bündnispartner Türkei effektiv einzuwirken, damit eine bevorstehende humanitäre Katastrophe in der Stadt Afrin verhindert wird.
Wie inzwischen bekannt wurde, hat die Bundesregierung auch nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien Rüstungslieferungen in Millionenhöhe an die Türkei genehmigt. In den ersten fünfeinhalb Wochen der türkischen Militäroperation „Olivenzweig“ sollen 20 Exportgenehmigungen für deutsche Rüstungsgüter im Wert von 4,4 Mio. Euro erteilt worden sein, mehr als im Durchschnitt des Vorjahres. Hierfür haben wir kein Verständnis. Die jüngsten und evtl. auch künftige Rüstungsdeals mit der Türkei halten wir in dieser Situation für unverantwortlich.
Wir erwarten von der Bundesregierung vielmehr gerade jetzt ein deutliches Signal, dass die Sorgen und Anliegen der kurdischstämmigen Mitbürger ernst genommen und aufgegriffen werden.
Bonn, 15.03.2018